Sandoz an der Börse: mehr als nur Generika
Der Börsengang an der Schweizer Börse SIX heute, 4. Oktober, ist für die neue Sandoz AG ein historisches Ereignis und markiert nach der damit vollzogenen Abspaltung vom Mutterkonzern Novartis den nun eigenständigen Weg des Pharmariesen in die Zukunft. Analysten waren sich bis zuletzt uneinig über die Bewertung des Geschäftsmodells, rechneten mit einem Abschlag bei der Erstnotiz und schwankten bei der Marktkapitalisierung stark zwischen 15 bis 40 Mrd. Schweizer Franken(*).
Der Schweizer Mutterkonzern Novartis verschlankt sich und beendet die Doppelstrategie, Original- und Nachahmerpräparate unter einem Dach zu entwickeln und zu vermarkten. Seit heute ist die bisherige Tochter Sandoz mit dem Börsengang an der Schweizer Börse SIX in die Eigenständigkeit entlassen worden – ob man dabei an das Bild einer zu lange zu Hause gebliebenen Tochter denkt, die mit etwas Druck aus dem Haus getrieben werden muss, sei jedem selbst überlassen.
Sandoz hat sich jedenfalls in den letzten Monaten sehr bemüht, die Trennung als etwas Positives, als neue Chancen in größerer Freiheit erscheinen zu lassen, und hat auch begonnen, verstärkt mit eigenem Geld einige Pflöcke als Wegweiser für die künftige Strategie einzuschlagen. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass das Unternehmen bisher etwa die Hälfte seines Gesamtumsatzes von rund 9 Milliarden US-Dollar (Zahlen für 2022) in Europa erwirtschaftet, ein weiteres rundes Viertel in den USA und Kanada und das restliche Viertel im Rest der Welt. Auch die Investitionen sind stark in Europa konzentriert, allerdings nicht im Generikabereich, mit dem Sandoz fast 80 Prozent seines Geldes verdient, sondern im boomenden Bereich der Biosimilars – Nachahmerprodukte von Biopharmazeutika.
Für den Ausbau von zwei Forschungs- und Produktionsstätten in Slowenien wendet der schweiz-österreichisch-deutsche Konzern in den nächsten Jahren fast 500 Mio. US-Dollar auf. Zudem wird der Standort Holzkirchen bei München, der einst von Hexal und den Gebrüdern Strüngmann übernommen wurde, mit einer zweistelligen Millionenspritze modernisiert. In Kundl/Schaftenau bei Kufstein in Österreich befindet sich der derzeit größte Biosimilar-Entwicklungsstandort von Sandoz. Darüber hinaus hat sich dieser Standort als letzte Penicilin-Produktionsstätte in Europa quasi selbst für unverzichtbar und systemrelevant erklärt, wodurch man einige staatliche Millionen aus Brüssel und Wien erhält, um die Widerstandsfähigkeit (Resilienz-Strategie) Europas an dieser Stelle zu sichern.
Die starke europäische Karte mag eine Kernstrategie von Sandoz auch für die ersten eigenständigen Schritte sein, um gerade im Biosimilarbereich auch mit der Fahne „Made in Europe“ winken zu können und unliebsame Konkurrenten aus Asien auf Distanz zu halten. Ob diese Rechnung allerdings lange aufgehen wird, ist eine ganz andere Frage, denn auch andere europäische Biosimilarentwickler wie Stada, Alvotech, Formycon und andere sind mit ihren Produkten bereits auf dem Markt oder stehen kurz davor, wie in |transkript, 3-2023 beschrieben. Doch Sandoz ist als Entwickler der ersten europäischen und auch US-amerikanischen Biosimilars lange genug im Geschäft, um realistisch zu bleiben. Mit reiner europäischer Folklore wird man im hart umkämpften Nachahmer-Markt auf Dauer nicht gewinnen, weder bei Biosimilars noch bei Generika.
Vielmehr wird man die starken europäischen, aber auch nordamerikanischen Marktanteile auch in weiteren Partnerschaftsdeals versilbern und so versuchen, sich gerade bei den umsatzstarken Biosimilars Anteile zu sichern. So lässt sich auch ein jüngst bekannt gewordener Lizenzvertrag zwischen Sandoz und der südkoreanischen Samsung Bioepis interpretieren: Beide schlossen Anfang September einen Vertrag über die exklusiven Vermarktungsrechte für das SB17-Biosimilar Ustekinumab. Ustekinumab wird zur Behandlung von Plaque-Psoriasis, Psoriasis-Arthritis, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa eingesetzt. Die Vereinbarung sichert Sandoz die exklusiven Vermarktungsrechte für das Biosimilar Ustekinumab SB17 in den USA, Kanada, der EU, der Schweiz und Großbritannien. Das Referenzprodukt für SB17 Ustekinumab ist das von Janssen-Cilag hergestellte Stelara, ein Blockbuster mit rund 17 Mrd. US-Dollar weltweitem Jahresumsatz dessen Patentschutz 2024 ausläuft.
Dem Vernehmen nach ist die Entwicklungsabteilung von Sandoz in zahlreichen weiteren Projekten mit asiatischen Herstellern (z.B. in Vietnam) verbunden. Sollte Sandoz mit diesen in Zukunft ähnliche Vereinbarungen treffen, könnte das Unternehmen seine Position als europäischer Platzhirsch weiter ausbauen und sich auch in Nordamerika größere Marktanteile bei Biosimilars sichern. Ein Markt, der bis 2031 um rund 20 Prozent wachsen soll. Schätzungen gehen dann von einem weltweiten Umsatz bei Biosimilars von 122 Mrd. US-Dollar aus. Dabei aus Europa heraus einer der großen Akteure auch in Zukunft zu sein, wäre eine wesentlich stabilere Basis nach dem Auszug aus dem Eltern(Mutter-)haus, als eine Strategie, die ausschließlich auf den Bieterwettbewerb mit asiatischen Generikaherstellern abzielt, der kaum zu gewinnen sein dürfte.
*Artikel wurde zum Ablauf des ersten Börsentages aktualisiert:
Am Ende des ersten Börsentages für Sandoz blieb ein enttäuschender Start zurück. Mit knapp unter 24 Schweizer Franken ging der Titel zu einer Gesamtbewertung von nur 11 Mrd. US-Dollar aus diesem ersten Handelstag. Das war deutlich weniger, als die zurückhaltendste Analyse im Vorfeld ergeben hatte, optimistischere Analysten hatten gar Vorhersagen von bis zu 40 Mrd. US-Dollar Börsenwert gewagt. Da das Feld der Generikaherstellung sicherlich nicht angetan ist, um eine Phantasie für Börsianer zu entwickeln, war aber nun wohl auch das zukunftsträchtigere Feld der Biosimilars (noch?) kein rechter Zündfunke für ein erstes Börsenfeuerwerk. Dies mag auch an einer für Außenstehende schwer zu durchschauenden weiterhin bestehenden Verbindung zur Auftragsproduktion bei Novartis liegen, die eben keine klare Trennung verspricht, sondern sogar eine Form von interner Wettbewerbssituation um ähnliche Kunden insinuiert. Novartis fährt gerade Werbekampagnen für das Contractmanufacturing unter der Marke „Global Biotech Cooperations“ und man kann sich schon fragen, ob dies zu einem rein auf Innovationen getrimmten neuen Image von Novartis passen mag.